Nachsicht gegenüber Mitmenschen

4. Bai`at Bedingung

In Bezug auf die Arten der Vollbringung des Guten schreibt der Verheissene Messiasas im Zusammenhang mit der Erläuterung der zweiten Art der moralischen Eigenschaften, die zum Vollbringen des Guten führt:

„Die erste Eigenschaft nennt sich „Afuw“, d.h. „Vergebung“ oder „Nachsicht“. Wer sich eines Vergehens schuldig macht, fügt damit einem anderen Schaden zu und verdient eine Vergeltung und Bestrafung auf dem Gesetzesweg, sei es mit Gefängnis oder Busse, oder durch die geschädigte Person selber. Wenn aber diese dem Missetäter verzeiht, insofern Verzeihung angebracht ist, erweist sie ihm wirklich Gutes. Der Heilige Qur’an lehrt darüber:

‚…die da spenden in Überfluss und Mangel, die den Zorn unterdrücken und den Mitmenschen vergeben; und Allah liebt, die da Gutes tun,…‘ (3:135)

‚Die Vergeltung für eine Schädigung soll eine Schädigung in gleichem Ausmass sein; wer aber vergibt und Besserung bewirkt, dessen Lohn ist sicher bei Allah. Wahrlich, Er liebt die Ungerechten nicht.‘ (42:41)

Die Rechtschaffenen sind die, die den Zorn unterdrücken, wo Zorn am Platz wäre und den Mitmenschen vergeben, wo es angebracht ist. Die Vergeltung für eine Schädigung ist eine Schädigung im gleichen Ausmass; wer aber vergibt und dadurch Besserung und keine Verschlechterung der Lage bewirkt, d.h. die Vergebung bei passender Gelegenheit ausübt, dessen Lohn ist sicher bei Gott.“ (Islami Usuul ki philosophy (Philosophie der Lehren des Islams), Ruhani Khaza’in, Bd. X, S. 351)

Gemäss einem sehr bekannten Hadith, das vielen geläufig sein dürfte, deutete der Heilige Prophetsaw auf sein Herz und erklärte dabei, dass sich hier Taqwa befindet. Dies bedeutet, dass wahre und über jeden Vergleich erhabene Taqwa – sofern sie sich überhaupt irgendwo finden lässt – einzig und allein in dem reinen Herzen des Heiligen Prophetensaw lebt. Und in seinem Herzen befindet sich nichts anderes als allein Taqwa.

Nun liebe Gemeinde der Gläubigen, für Sie lautet die immerwährende Weisung, stets dem Vorbild des Heiligen Propheten Muhammadsaw nachzueifern. Reflektieren Sie Ihre Herzen und fragen Sie sich selbst, ob Sie denn wirklich dem Beispiel des Heiligen Prophetensaw folgend Anstrengungen und Bemühungen unternehmen, um Ihre Herzen mit Taqwa zu tränken. Besitzen Sie tatsächlich Furcht vor Gott und lieben Sie Ihn denn wahrhaftig? Und hegen Sie infolge dessen wahres Wohlwollen und echtes Mitgefühl Seiner Schöpfung gegenüber? Ich möchte Ihnen nun das vollständige Hadith darlegen:

„Hazrat Abu Hurairahra berichtet, dass der Heilige Prophet Muhammadsaw sagte: ‚Seid nicht neidisch aufeinander, hasst einander nicht und hegt keine Bosheit und Feindschaften füreinander. Und keiner von Euch sollte einen Vertrag überbieten, den ein anderer bereits ausgehandelt hat. Oh Ihr Diener Allahs, werdet zu Brüdern. Ein Muslim ist der Bruder eines anderen Muslims; und er fügt seinem Bruder keine Leiden zu. Ebenso unterdrückt er seinen Bruder nicht und betrachtet ihn auch nicht als minderwertig.’ Dann wiederholte der Heilige Prophetsaw dreimal die Worte ‚Hier lebt Taqwa’, indem er auf seine Brust zeigte. ‚Es genügt bereits, seinen muslimischen Bruder als minderwertig zu betrachten, um den eigenen moralischen Verfall einzuleiten. Und jedem Muslim sind das Blut, das Eigentum und die Ehre eines anderen Muslims verwehrt‘. “ (Sahih Muslim, kitab-ul-birri was-silah, Kapitel tahrimi-zulm-ilmuslimi wa khadhlih)

Fügt niemandem Leiden zu

In der vierten Bedingung wurde dargelegt, dass niemandem Schaden zugeführt werden sollte, weder durch die Hand, noch durch die Zunge oder irgendeine andere Art. Dies werde ich nun etwas ausführlicher beleuchten. Lassen Sie uns hierfür unser Augenmerk auf die Worte „Seid nicht neidisch aufeinander“ konzentrieren, welche dem von mir eben aufgeführten Hadith entstammen. Neid ist etwas, das sich allmählich zur Feindschaft entwickelt. Und eine Person, die Neid in ihrem Herzen gegenüber jemandem hegt, ist stets mit dem Gedanken beschäftigt, dem Betreffenden irgendeinen Schaden zuzufügen. Neid ist in der Tat eine solche Krankheit, die nicht nur demjenigen schadet, der beneidet wird, sondern den Neidenden selbst regelrecht verzehrt.

Dies führt dazu, dass bereits viele unbedeutende Kleinigkeiten den Nährboden für boshafte Gefühle bilden und Eifersucht entfachen: Warum laufen die Geschäfte von jemandem besonders gut? Warum besitzt jemand mehr Geld als man selbst? Warum hat jemand ein schöneres Haus als man selbst? Und warum sind die Kinder von jemand anderem begabter als meine eigenen? – Bei Frauen können ausserdem auch schönere Schmuckstücke einer anderen Frau Gefühle der Missgunst und des Neides hervorrufen. Dabei macht Neid auch vor religiösen Bereichen nicht Halt, obwohl die Arbeit jener Menschen, die im Dienste der Religion ihre Zeit aufwenden, stets gewürdigt werden sollte und man selbst auch ständig darum bemüht sein sollte, der Religion zu dienen und sich in diesem Zusammenhang weiterzuentwickeln.

Ich möchte Ihnen nun einige Ahadith vorlegen, die einerseits offenbar werden lassen, wie ernst und wichtig die Gefährten des Heiligen Prophetensaw diese Verhaltensrichtlinien nahmen, und die andererseits zudem veranschaulichen, welche Veränderungen sie in ihren Charakteren diesbezüglich nach der Annahme des Islams vornahmen.

Hadhrat Abu Dhar Ghaffarira berichtet, dass aus einem seiner Tanks üblicherweise Wasser an andere zum Trinken angeboten wurde. Einmal kamen einige Mitglieder einer Familie vorbei, wobei einer von ihnen seine Verwandten fragte, wer von ihnen bereit wäre, Hadhrat Abu Dhar Ghaffarira an seinen Haaren zu fassen und auszufragen. Einer von ihnen erklärte sich hierzu bereit und ging auf Hadhrat Abu Dhar Ghaffarira zu, als dieser an seinem Tank stand. Er begann damit, Hadhrat Abu Dhar Ghaffarira zu belästigen und Fragen zu stellen. Hadhrat Abu Dhar Ghaffarira, der anfangs gestanden hatte, setzte sich bald daraufhin hin, bis er sich kurz darauf sogar schliesslich hinlegte. Als er voller Verwunderung danach gefragt wurde, warum er sich zuerst hingesetzt und dann sogar hingelegt hatte, antwortete er:

„Der Heilige Prophetsaw hatte uns gelehrt, dass man sich bei auflodernder Wut hinsetzen sollte und dann, falls dadurch der Zorn noch nicht entschwunden sein sollte, sich hinzulegen.“ (Masnad Ahmad bin Hanbal, Bd. V, S. 153, herausgegeben in Beirut)

Ein anderer Erzähler berichtet:

„Wir befanden uns in der Gesellschaft von Urwah bin Muhammad, als ein weiterer Mann hinzukam. Dieser sagte etwas, was den Zorn von Urwah bin Muhammad erzürnte, und als dessen Wut noch weiter wuchs, stand er schliesslich auf und vollzog die Wudhu. Anschliessend kehrte er zu uns zurück und erklärte uns, dass er von seinem Vater gehört habe, der dies wiederum von seinem Vater Hadhrat Attiyahra erfahren hatte, der ein Gefährte des Heiligen Prophetensaw gewesen war, dass der Heilige Prophetsaw gesagt habe: ‚Der Zorn kommt von Satan, und weil dieser aus Feuer entstanden ist und Feuer durch Wasser gelöscht wird, sollte man im Falle von Wut die Wudhu vollziehen‘.“ (Masnad Ahmad bin Hanbal, Bd. IV, S. 226, herausgegeben in Beirut)

Und ferner:

Hadhrat Ziyadra überliefert durch seinen Onkel Hadhrat Utbahra, dass der Heilige Prophetsaw das folgende Gebet zu beten pflegte:

„Oh mein Herr, ich suche Zuflucht bei Dir vor schlechter Moral, vor schlechten Taten und vor schlechten Begierden.“ (Sunan Tirmidhi, abwab-ud-da’wat, Kapitel jami’id-da’wat)

Nach diesen Ahadith möchte ich Ihnen nun darlegen, was der Verheissene Messiasas in diesem Zusammenhang sagte und welche Erwartungen er diesbezüglich an die Mitglieder seiner Gemeinde stellt:

„Alle Mitglieder meiner Gemeinde, die entweder hier zugegen sind oder sich anderswo befinden, sollten dieser Ermahnung ihre besondere Aufmerksamkeit schenken. Der Beitritt zu dieser Bewegung und die dadurch bedingte besondere Beziehung zu mir als meine Getreuen haben den Zweck, dass sie die höchsten Stufen des guten Benehmens, der Tugendhaftigkeit und der Rechtschaffenheit erklimmen, und dass sie mit keinerlei Unheilstiftung oder Unfug oder Verfehlung in Berührung kommen. Sie sollten alle fünf täglichen Gebete in Gemeinschaft darbringen. Sie sollten nicht lügen. Sie sollten niemanden durch ihre Zunge verletzen. Sie sollten keinerlei Untaten begehen und nicht einmal dem Gedanken an einen Unfug oder einem Unrecht oder einer Intrige oder Unheilstiftung Raum geben.

Kurzum, sie sollten jeder Art von Sünde, Übertretung, Fehlverhalten und Fehläusserung, Versuchung und unangemessener Handlung widerstehen können. Und sie sollen zu solchen Dienern Gottes werden, die reinen Herzens, harmlos und bescheiden sind. Und kein giftiger Keim sollte in ihrem Körper zurückbleiben. … Und Wohlwollen für die gesamte Menschheit sollte ihr Prinzip sein. Und sie sollten Ehrfurcht vor Gott hegen. Und sie sollten ihre Zunge, ihre Hände und ihre Gedanken vor jedweder unreinen und Unruhe stiftenden Benutzung und vor Veruntreuung bewahren. Und sie sollten die fünf täglichen Gebete mit äusserster Sorgfalt darbringen. Und sie sollten sich von Unterdrückung, Unrecht, Unterschlagung, Bestechung, Entrechtung und ungerechter Parteilichkeit fernhalten.

Sie sollten sich nicht in schlechter Gesellschaft aufhalten. Und wenn sich herausstellt, dass ein Mensch, mit dem sie regelmässig in Kontakt stehen, die Vorschriften Gottes nicht einhält, … oder dass er die Rechte anderer nicht achtet, oder dass er ein gewalttätiger, niederträchtiger und ungesitteter Mensch ist, oder dass er durch regelmässige unberechtigte und grundlose Beschimpfung, Beleidigung, Verleumdung, Denunzierung und Anschuldigung desjenigen, dessen Getreue ihr durch euer Bai’at geworden seid, die Diener Gottes fehlleiten will, so wird es eure Pflicht sein, dieses Übel aus eurer Mitte zu entfernen und einen solch gefährlichen Menschen zu meiden.

Und ihr solltet nicht danach trachten, dem Mitglied irgendeiner Religion oder irgendeines Volkes oder irgendeiner Gruppe einen Schaden zuzufügen. Und werdet zum ehrlichen Ratgeber für jedermann. Und es sollten Niederträchtige, Verbrecher, Unruhestifter und Ungesittete keinen Platz in euren Versammlungen finden, noch solltet ihr ihnen Unterkunft in euren Häusern geben; denn sie werden euch früher oder später zum Stolpern bringen…“

Weiterhin sagte der Verheissene Messiasas:

„…Dies sind die Punkte und Bedingungen, auf die ich von Anbeginn an hingewiesen habe. Jedes Mitglied meiner Gemeinde ist verpflichtet, jede dieser Ermahnungen zu befolgen. Und in euren Versammlungen sollten keinerlei Unreinheit oder Hohn oder Spott stattfinden. Und wandelt mit einem guten Herzen, reinem Wesen und mit reinen Gedanken auf der Erde. Und denkt daran, dass nicht jedes Übel bekämpfenswert ist. Deshalb eignet euch des Öfteren die Eigenschaft der Milde und Nachsicht an, und zeigt Geduld und Langmut. Und greift niemanden zu Unrecht an. Und zügelt euer Temperament. Und wenn ihr euch an einer Diskussion oder religiösen Debatte beteiligt, so benutzt eine sanfte Wortwahl und bleibt höflich. Und wenn jemand euch mit Unfreundlichkeit entgegnet, so verlasst eine solche Sitzung alsbald mit einem „Salam“.

Und wenn ihr belästigt und beschimpft werdet und schlimme Worte über euch benutzt werden, so gebt Acht, dass ihr Torheit nicht mit Torheit bekämpft, sonst werdet ihr zu ebensolchen werden. Gott wünscht euch zu einer solchen Gemeinde zu machen, die für die gesamte Welt zu einem Exempel an Rechtschaffenheit und Güte wird. Darum entfernt umgehend einen solchen Menschen, der ein Beispiel an Schlechtigkeiten, Unfug, Unruhestiftung und schlechtem Charakter ist, aus eurer Mitte.

Derjenige aus unserer Gemeinde, der nicht in der Lage ist, Demut, Tugendhaftigkeit, Enthaltsamkeit, Milde, sanfte Wortwahl und Höflichkeit zu praktizieren, der sollte sich schleunigst von uns trennen, denn unser Gott möchte nicht, dass solch ein Mensch unter uns weilt. Er wird gewisslich einen armseligen Tod sterben, denn er beschritt nicht den rechten Weg. Seid daher gewarnt, und werdet tatsächlich gutherzig, demütig und rechtschaffen. Ihr werdet an euren fünf täglichen Gebeten und eurem moralischen Stand erkannt werden. Und wer noch einen Keim des Bösen in sich trägt, der wird diese Ermahnung nicht einhalten können.“ (Tabligh-e-Risalat, Bd. VII, S. 42 f. Ishtihar, 29. Mai 1898)

Ebenso sagte der Verheissene Messiasas auch:

„Der Mensch sollte weder übermutig und unanständig sein, noch die Schöpfung Gottes schlecht behandeln. Er sollte sich liebevoll und reinherzig verhalten. Ebenso sollte er aufgrund egoistischer Gründe keinen bösen Willen für jemanden hegen und je nach Umstand, d.h. bei passender Gelegenheit, Sanftmut oder Strenge walten lassen.“ (Malfuzat, Bd. V, S. 609)

Quelle: Der 5. Khalifa der Ahmadiyya Muslim Jamaat: Mirza Masroor Ahmad, Die Bedingungen des Bai`at, Verlag der Islam, 1. Auflage, 2007, S. 103-115