Warum ich an den Islam glaube

Ich bin aufgefordert worden, zu erklären, warum ich an den Islam glaube. Wenn ich mir die Frage selbst stelle, so lautet die Antwort, dass es aus demselben Grunde ist, aus dem ich überhaupt an irgendetwas glaube, nämlich weil es Wahrheit ist. Eine eingehendere Antwort wäre, dass meiner Ansicht nach die Hauptlehre aller Religionen die Existenz Gottes und die Beziehung der Menschen zu Gott ist. Diejenige Religion, die eine wahrhaftige Beziehung zwischen Gott und dem Menschen herstellen kann, muss auch selbst wahr sein. Die Wahrheit einer Glaubenslehre ist sicherlich Grund genug, sich dazu zu bekennen. Der Islam macht geltend, dass der Schöpfer dieses Alls ein lebenswahrer Gott ist und dass Er Sich auch heute Seinen Geschöpfen in der gleichen Weise offenbart, in welcher Er es in vergangenen Zeiten zu tun pflegte.

Diese Eröffnung kann auf zwei Arten bewiesen werden. Entweder kann Gott Seine Zeichen einem, der Ihn sucht, unmittelbar offenbaren oder wir können zum Glauben an Gott finden, indem wir uns mit dem Leben eines Menschen auseinandersetzen, dem Gott Sich offenbart hat. Da ich durch die Gnade Gottes zu denen gehöre, denen Er Sich aus manchen Anlässen in übernatürlicher Weise offenbart hat, und ich so die Wahrhaftigkeit des Islams an mir selber erfahren habe, bedarf ich keines weiteren Grundes, an die Wahrheit des Islams zu glauben. Dennoch möchte ich denen, die eine ähnliche Erfahrung bisher nicht gemacht haben, die Gründe darlegen, die mich zusätzlich zu meinem persönlichen Erleben zum Glauben an den Islam bewegen.

Erstens glaube ich an den Islam, weil er nicht von mir verlangt, Dinge anzunehmen, deren Gesamtheit als Religion der Autorität bezeichnet wird, sondern weil der Islam überzeugende Argumente für seine Lehren liefert: Die Existenz Gottes und die Natur Seiner Eigenschaften, Engel, Gebete und ihre Wirkung, göttlicher Ratschluss und sein Bereich, Gottesdienst und seine Notwendigkeit, göttliches Gesetz und seine Wohltaten, Offenbarung und ihre Wichtigkeit, Auferstehung und das Leben nach dem Tode, Himmel und Hölle. Im Hinblick auf alle diese Dinge hat der Islam eingehende Erläuterungen gegeben und deren Wahrheit mit unerschütterlichen Argumenten zur Befriedigung des menschlichen Gemütes dargelegt. So versieht mich der Islam über den blossen Glauben hinaus noch mit der Sicherheit des Wissens, welche meinen Verstand befriedigt und ihn anregt, die Notwendigkeit für die Religion zuzugeben.

Zweitens glaube ich an den Islam, da er sich nicht allein auf die Erfahrungen von Menschen gründet, die bereits dahingegangen sind, sondern er lädt jedermann ein, seine Lehren und deren Wirkung am eigenen Leib zu erfahren. Er behauptet, dass in dieser Welt jede Wahrheit auf mannigfache Weise dem Versuch unterworfen werden kann, und er befriedigt auf diese Art mein Denkvermögen.

Drittens glaube ich an den Islam, da er lehrt, dass zwischen dem Werke und dem Worte Gottes kein Missklang bestehen kann, und damit löst er den nur angeblichen Streit zwischen Wissenschaft und Religion. Er verlangt von mir nicht, dass ich die Naturgesetze verleugne und Dingen nachhänge, die ihnen entgegen sind. Im Gegenteil, er veranlasst mich, die Gesetze der Natur zu studieren und aus ihnen Nutzen zu ziehen. Er lehrt mich, dass, da die Offenbarung von Gott kommt, kein Missklang bestehen kann zwischen Seiner Tat und Seinem Wort. Daher fordert er mich auf, Sein Werk zu erkennen, damit ich Seine Offenbarung verstehe, und Sein Wort zu erkennen, damit ich die Bedeutung Seines Werkes erfasse, und so befriedigt er die Sehnsucht meines Verstandes.

Viertens glaube ich an den Islam, da er, fern davon sie zu unterdrücken, meine natürlichen Triebe in ihre richtigen Bahnen lenkt. Weder erniedrigt er mich zum Steine herab, indem er meine Triebe vernichtet, noch zum Vieh, indem er sie unbesehen und ungehemmt emporschiessen lässt, sondern gleich wie der Bewässerungskünstler ungebärdige Wasser ausnutzend und in Kanäle leitend, wüste Einöden erblühen macht, so verwandelt er kraft seiner Führung meine natürlichen Triebe in hohe moralische Eigenschaften. Er sagt mir nicht: Gott hat dir ein liebendes Herz gegeben und verbietet dir doch, dass du einen Lebensgefährten suchest, oder: Er hat dich mit dem Geschmack begabt und mit der Fähigkeit, gute Speisen zu schätzen, und verbietet dir doch, dass du solche Speisen isst. Im Gegenteil, er lehrt Mich, in reiner und wahrer Weise zu lieben und durch meine Nachfahren die Fortdauer aller meiner guten Vorsätze zu sichern. Er erlaubt mir, die guten Speisen zu geniessen, doch in bestimmten Grenzen, so dass ich nicht meinem Magen Genüge tue und mein Nachbar zur gleichen Zeit hungrig ausgeht. Auf solche Weise meine Urtriebe in hohe Eigenschaften der Moral verwandelnd, befriedigt er mein Menschentum.

Fünftens glaube ich an den Islam, da er sich sowohl mit mir als auch mit der ganzen Welt gerecht und liebevoll auseinandersetzt. Er lehrt mich nicht nur, meine Pflichten mir selbst gegenüber zu erfüllen, sondern mich auch redlich mit jedem anderen Menschen und Ding zu befassen. Zu diesem Zweck hat er mir die passende Richtlinie gegeben. Er lenkt zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf die Rechte der Eltern und auf den schuldigen Gehorsam der Kinder. Er ermahnt die Kinder, sich ihren Eltern gehorsam und zärtlich zu erweisen und hat diese zu den Erben jener gemacht für das, was jene hinterlassen. Darüber hinaus macht er den Eltern die Liebe und Zuneigung zu ihren Kindern zur Pflicht und legt ihnen auf, ihre Kinder wohl zu erziehen, sie in nützlichen Kenntnissen zu schulen und für ihre Gesundheit zu sorgen, und auch die Kinder macht er zu den Erben ihrer Eltern. Gleichermassen verpflichtet er zu bestem Einvernehmen zwischen den Ehegatten und verlangt von beiden, den Bedürfnissen und Wünschen des anderen die gebührende Rücksicht entgegenzubringen und sich gegeneinander liebevoll zu erweisen. Dies hat der Heilige Gründersaw des Islams so schön gesagt mit den Worten:

“Ein Mann, der seine Frau am Tage quält und des Nachts liebt, handelt der Schönheit der menschlichen Natur vollständig zuwider.”

Und ferner:

“Eure besten sind die, die ihre Frauen am besten behandeln.”

Des weiteren:

“Die Frau ist zerbrechlich wie Glas, daher sollen die Männer die Frauen mit Schonung und Zärtlichkeit behandeln, als hätten sie einen gläsernen Gegenstand in den Fingern.”

Der Islam legt besonderen Wert auf die Erziehung und Bildung der Mädchen. Der erhabene Prophetsaw hat gesagt:

“Wer eine Tochter gut aufzieht und ihr eine gute Bildung und Erziehung angedeihen lässt, erwirbt dadurch das Paradies.”

Der Islam macht die Töchter zusammen mit den Söhnen zu den Erben ihrer Eltern.

Ferner hat er gerechte Regeln für das Verhältnis von Herrschern und Beherrschten festgelegt. Er lehrt die Herrscher, dass die ihnen verliehene Autorität nicht ihr Privateigentum ist, sondern eine moralische Verpflichtung, und dass sie die ihnen daraus erwachsene Pflicht als aufrechte und ehrliche Menschen aufs beste erfüllen und ihre Herrschaft in Übereinstimmung mit den Wünschen des Volkes ausüben sollen. Er sagt dem Volk, dass das Recht, den Herrscher zu wählen, ihnen als eine Gabe von Gott verliehen worden ist. Daher sollen sie darauf achten, die Herrscherwürde nur Menschen zu übertragen, die sie voll und ganz verdienen. Nachdem dies aber geschehen ist, sollen sie ihnen ihre bereitwilligste Mitarbeit darbringen und nicht rebellieren, denn wenn sie dies tun, so suchen sie nur zu zerstören, was sie mit eigener Hand errichtet haben.

Er hat ebenso die Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelt. Jenem sagt er, dass er seinem Arbeiter den vollen Lohn ausbezahle noch ehe der Schweiss an seinem Körper getrocknet ist, und dass er nicht verächtlich herabschaue auf diejenigen, die für ihn arbeiten. Auch sie sind seine Brüder, deren Wohlergehen ihm von Gott anvertraut ist. Sie sind die wahren Stützen seines Reichtums und so möge er nicht so unverständig sein, denen zu schaden, die für ihn tätig sind und die Quelle seiner Macht darstellen. Diesen aber lehrt er, sich seiner Aufgabe mit gebührender Achtsamkeit und Mühe zu entledigen, wenn er einmal eine Arbeit für jemanden übernommen hat. Er lehrt die, welche sich der Fülle physischer Gesundheit und Stärke erfreuen, sich nicht gewalttätig den Schwachen gegenüber noch verächtlich vor den mit einem körperlichen Leiden oder Makel Behafteten zu betragen; denn dies muss eher Mitleid als Verachtung erwecken.

Er sagt dem Reichen: Du hast die Pflicht, jährlich ein Vierzigstel deines Vermögens abzuzweigen, damit es zur Linderung von Armut und Not und für das Fortkommen derer, die seiner Möglichkeiten ermangeln, verwendet wird. Er lehrt sie, die Not der Armen nicht durch Geldverleihen auf Zinsfuss zu steigern, sondern ihnen mit zinsfreien Gaben und Darlehen zu helfen und damit zu zeigen, dass der Reichtum dem Menschen nicht gegeben ist, das Leben in Luxus und Völlerei zu verbringen, dass er vielmehr den Reichtum verwende für den Fortschritt der gesamten Menschheit und so hienieden und im jenseits die beste Belohnung erwerbe. Anderseits lehrt er auch den Armen, nicht mit Neid und Verlangen auf das zu sehen, was andern gegeben worden ist, da diese Empfindungen das Gemüt fortschreitend verdunkeln und den Menschen verhindern, die guten Eigenschaften zu entwickeln, mit denen er selbst begabt ist. Damit spornt er den Armen an, seine Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der Fähigkeiten zu richten, die Gott ihm verliehen hat, auf dass sie sich wohlgefällig entwickeln.

Er veranlasst die Regierungen, den ärmeren Schichten der Gemeinschaft Erleichterungen für solch eine Entwicklung zu gewähren und nicht zu erlauben, dass aller Reichtum und alle Macht in nur wenigen Händen vereinigt werden. Er ermahnt diejenigen, deren Vorfahren infolge edler Bestrebungen zu Würden und Ehren gelangt sind, dass sie der Pflicht gedenken, diese Würden und Ehren mit ihrem eigenen edlen Streben zu erhalten und nicht geringschätzig auf andere zu blicken, die nicht in gleicher Weise gesegnet sind, denn Gott hat die Menschen gleich erschaffen. Und er führt ihnen vor Augen, dass Gott, Der ihnen diese Ehre zuteil werden liess, den anderen noch grössere verleihen kann. Und wenn sie die Stelle missbrauchen, an die sie berufen werden, und sie vergehen sich gegen weniger Gesegnete, so bereiten sie den Grund zukünftiger Übertretungen gegen sich selbst von Seiten derer, denen sie jetzt zusetzen. Darum sollen sie nicht stolz sein im Bezeugen ihrer Grösse, sondern auf die Hilfe, die sie anderen zum Hochkommen gewähren; denn wahre Grösse wird nur dem zuteil, der versucht, seine gefallenen Brüder emporzuheben.

Der Islam lehrt, dass keine Nation sich gegen eine andere vergehen soll, noch ein Staat gegen einen anderen; vielmehr sollen Nationen und Staaten gegenseitig zusammenarbeiten, damit sie der Entwicklung der gesamten Menschheit dienen. Er verbietet, dass Nationen, Staaten oder Einzelwesen sich vereinigen, um gegen ihresgleichen Ränke zu schmieden. Er lehrt im Gegenteil, dass Nationen und Staaten und Einzelwesen übereinkommen sollen, sich jedes Angriffes zu enthalten und zusammenzuarbeiten, indem sie die entwickeln, die zurückgeblieben sind. Ich finde, kurz gesagt, der Islam schafft Bedingungen für Frieden und Wohlstand für mich und alle, die den von ihm vorgezeigten Weg beschreiten wollen, was und wer sie auch immer sein mögen.

In welche Lage ich mich auch versetzen mag, ich finde, dass der Islam gleicherweise nützlich ist für mich und die Meinen, für meine Nachbarn, für Leute, die ich nicht kenne, und von denen ich noch nicht einmal gehört habe, für Männer und Frauen, für jung und alt, für Angestellte und Arbeiter, für Reiche und Arme, für grosse Nationen und für kleine, für Internationalisten und Nationalisten; und dass er sichere und feste Beziehungen zwischen mir und meinem Schöpfer herstellt. Ich glaube an ihn, wie könnte ich ihn also aufgeben und an etwas anderes an seiner Stelle glauben.

Quelle: Der 2. Khalifa der Ahmadiyya Muslim Jamaat: Mirza Bashir Mahmud Ahmad, Warum ich an den Islam Glaube, Verlag der Islam, 1989, S. 2-12