Gottesdienst als Mittel wirtschaftlicher Einheit

  1. Mit der Bekräftigung zu beginnen, dass es keinen anderen Gott gibt als den Einen Gott, verschafft der Einheit Gottes und Seiner Schöpfung Geltung, wodurch die Menschheit unter dem Allmächtigen Schöpfer vereinigt wird.
  2. Die fünf täglichen Gebete, die gemeinschaftlich dargebracht werden müssen, sind diesbezüglich unter allen anderen vielleicht eines der wirkungsvollsten Mittel. Von den Reichen und den Armen und den Kleinen und den Grossen ist ohne Ausnahme gefordert, dass sie ihre Gebete, falls erreichbar, in Moscheen darbringen. Wenn auch nicht der gesamte, so ist doch zumindest ein grosser Teil der muslimischen Gesellschaft dafür verantwortlich, diesem Gebot zu folgen. Der Prozentsatz derjenigen, die regelmässig fünfmal am Tag beten, mag in einigen Ländern niedriger sein und in anderen höher, gleichwohl ist es eine gemeinschaftliche Erfahrung, an der die Mehrheit der Muslime in grösserem oder geringerem Umfang teilhaben. Das Lehrgefüge des Gebetes selbst ist eine grossartige Botschaft der Gleichheit des Menschen.


Derjenige, der die Moschee zuerst erreicht, nimmt den Platz seiner Wahl ein, und niemand, wie hochstehend er innerhalb der Gesellschaft auch immer sein mag, könnte jemals daran denken, ihn zu verdrängen. Zur Zeit des Gebets stehen alle – Schulter an Schulter – ohne Zwischenräume zusammen. Der am einwandfreiesten Gekleidete mag jemanden neben ihm stehen haben, der in zerfetzte Lumpen gekleidet ist. Die Schwachen und Blassen und die Gesunden und Robusten – alle kommen täglich auf einer gleichen Stufe zusammen, auf der beständig jene Botschaft wiederholt wird: “Gott ist der Grösste“.

Der Not, in der sich manche Mitglieder einer Ortschaft befinden, Auge in Auge gegenüberzustehen und sie täglich anzutreffen, hinterlässt im Herzen eines Menschen, der vergleichsweise behaglich wohnt, einen äusserst starken Eindruck. Die Botschaft lautet deutlich und unmissverständlich, dass man etwas tun muss, um ihre Leiden zu mindern und ihren Stand zu erhöhen, oder man selbst wird in der Einschätzung Gottes wie auch der eigenen Einschätzung nach erniedrigt. Der Bereich solcher Zusammentreffen vergrössert sich noch weiter an jedem Freitag, wo sich die Muslime in einer zentral gelegenen Moschee zusammenfinden, so dass die Menschen aus reicheren Gegenden jene aus den ärmeren Gegenden treffen. Er vergrössert sich wiederum anlässlich jedes der zweimal jährlich stattfindenden Feste, denen die Fitrana vorausgeht, ein Fonds, der aus freiwilligen Spenden für die Linderung der Armen besteht.

Der muslimische Monat des Fastens setzt die Reichen und Armen ebenfalls auf eine Stufe. Die Reichen ertragen Durst und Hunger, um sich des Schicksals der Armen zu erinnern, für die Durst und Hunger das Leben schlechthin bedeuten.
Zakaat überträgt aus dem Vermögen der Reichen die fälligen Anteile an die Armen.
Schliesslich lautet dann der fünfte Pfeiler des Islam die Pilgerfahrt, oft als das grösste Schauspiel menschlicher Einheit beschrieben. Den weiblichen Pilgern ist es erlaubt, einfach genähte Kleidung zu tragen. Die männlichen Pilger sind in zwei unvernähte Tücher gekleidet – eine Uniform für beide, die Reichen und die Armen. Doch ist das nicht alles. Abgesehen von den zuvor erwähnten Arten des Gottesdienstes, sind in einer muslimischen Gesellschaft viele weitere Massnahmen eingeführt und umgesetzt, die die Kluft zwischen den verschiedenen Gesellschaftsbereichen unaufhörlich überbrücken, und die viel benötigte Belüftung und frischen Wind für eine gesunde Umgebung liefern, in der es den Reichen erlaubt ist, annehmbar reich zu bleiben, von ihnen jedoch gleichermassen Sorge um die Armen abverlangt wird. Ein ähnliches Beispiel wurde von Jesusas erläutert, als er sagte: “Den Sanftmütigen wird die Erde gehören“.
Es ist äusserst schade, dass der Kapitalismus trotz dieses moralischen Gebotes insbesondere dahingehend versagt hat, sich um die armen und sanftmütigen Mitglieder der Gesellschaft zu kümmern.

Quelle: Der 4. Khalifa der Ahmadiyya Muslim Jamaat: Mirza Tahir Ahmad, Islam – Antworten auf die Fragen unserer Zeit, Verlag Der Islam, 2008, S. 244-246